Drei Kriege brauchte Friedrich der Große, um Preußen zur Großmacht zu machen. Napoleon genügte die Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806, um den antiquierten Staat zu zerstören.
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Im Grunde ging es um die Ehre, als der preußische König Friedrich Wilhelm III. am 26. August 1806 Napoleon das Ultimatum überreichen ließ, er solle seine Truppen innerhalb von sechs Wochen hinter den Rhein zurückziehen. Das hatte mit gesundem Menschenverstand nichts zu tun, geschweige denn mit Staatsräson. Nach seinem Sieg über seine Kaiserkollegen von Österreich und Russland bei Austerlitz 1805 war Napoleon I. der mächtigste Mann Europas, verfügte über die Ressourcen des halben Kontinents, über eine erfahrene, schlagkräftige Armee und die Fähigkeit, sie selbst unter widrigen Bedingungen einzusetzen. Friedrich Wilhelm III. hatte außer Sachsen keinen Verbündeten und keine Vorstellung davon, wie man einen modernen Krieg führte. Stattdessen trieb ihn die Wut, ein ums andere Mal von Napoleon vorgeführt worden zu sein, und wohl auch der Familienkomment des Ancien Régime, das von einem König von Preußen anderes erwartete.
Als beider Heere am 14. Oktober 1806 bei Jena und Auerstedt in Thüringen zusammentrafen, war das Ergebnis eindeutig. Innerhalb weniger Stunden brach die altpreußische Armee Friedrichs des Großen zusammen, wenige Wochen später der Staat. Und er wäre von der Landkarte getilgt worden, hätte der Zar ihn nicht gerettet. Die Ehre eines Königs bedeutete nichts mehr in einer Zeit, in der Nationen für Menschen- und Bürgerrechte in den Krieg zogen. Es sind wohl nicht zuletzt diese Dimensionen, die 210 Jahre später erneut Hunderte Darsteller in historischen Uniformen auf die Schlachtfelder locken, um die mörderischen Treffen in einem Reenactment-Spektakel nachzustellen.
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Der vierte Koalitionskrieg gegen Napoleon, wie der kurze Kampf Preußens und Sachsens gegen Frankreich 1806 auch genannt wird, war eingebettet in die säkularen Auseinandersetzungen, die die Französische Revolution provoziert hatte. Hier eine Gesellschaft, die frei war von feudalen Schranken und Privilegien und gleich war vor dem Gesetz. Dort Bauern, die noch an Scholle und Gutsherr gebunden, und Bürger, die entmündigt waren. Hier eine Nation, die davon überzeugt war, dass ihren Werten die Zukunft gehören würde. Dort „der Wahn, dass man der Revolution am sichersten durch das Festhalten am Alten“ wehren könnte, wie es der preußische Reformer Hardenberg lakonisch formulierte.

Die Heere, die bei Jena und Auerstedt aufeinanderprallten, boten ein getreues Abbild ihrer Gesellschaften. Die Franzosen wurden von Napoleon geführt, seit 1804 Kaiser von eigenen Gnaden, Produkt und Vollender der Revolution. Aus dem korsischen Nichts ins Zentrum der Geschichte getragen, verbanden sich in ihm persönliches militärisches Genie und die Ideale Frankreichs. Auch sein Gegner, Friedrich Wilhelm III. von Preußen, führte die verbündeten preußisch-sächsischen Armeen selbst. Aber er tat dies nur, weil die Familientradition es verlangte.
Während Napoleon zielsicher nach der Ausweitung und Sicherung seiner Macht strebte, lavierte Friedrich Wilhelm zwischen den Kriegsgegnern und -treibern am Hofe hin und her. Als Juniorpartner Napoleons hatte er kurz zuvor noch versucht, das mit Großbritannien verbundene Hannover zu besetzen. Als Napoleon als Preis einer möglichen Annäherung an London die Rückgabe forderte, sah sich der Preuße düpiert. Selbst nach der Mobilmachung hoffte der König noch, Napoleon werde durch solches Muskelspiel vor einem Angriff zurückschrecken. Am Ende zog er für eine vage Idee von Ehre, für den Ärger, nicht mehr neutral bleiben zu dürfen, in den Krieg.
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Seine jungen Offiziere, allen voran der glänzende Prinz Louis Ferdinand, der als einer der Ersten am 10. Oktober bei Saalfeld fiel, hielten sich für „die alten Roßbacher“, als sie aus Berlin zogen. Bei Roßbach hatte Friedrich der Große 1757 eine doppelte Übermacht von Reichsarmee und Franzosen überrannt.
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Tatsächlich klammerte sich die Armee, die da in ihr Verderben marschierte, an das große Vorbild. Ansonsten hatte sie seit Jahrzehnten keinen ernsthaften Feldzug unternommen und bestand zum einen aus leibeigenen Landeskindern, zum anderen aus gepressten Söldnern. Diese Soldaten am Desertieren zu hindern war die Hauptaufgabe der Offiziere. Aus diesem Grunde mussten die Regimenter in starr-linearer Gefechtsformation vorrücken.
Auch war man auf verlässlichen Nachschub angewiesen, hätte individuelle Verpflegung doch allzu vielen Soldaten die Möglichkeit zur Flucht geboten. Unter Kriegskunst verstand man das exakte Exerzieren von Regimentern. Damit es auf dem Kasernenhof besonders eindrucksvoll erschien, hatte man bei den Gewehren alle Verbindungsteile gelockert, um bei den Griffen einen hörbaren Schlag hervorzurufen. Die Bewaffnung der Armee, schrieb Carl von Clausewitz, „war schlechter als eine in Europa“.
Von Exerzieren, Drill und Linie hielten die französischen Soldaten wenig. Ihr Kleiderstil war – gelinde gesagt – nachlässig, ihre Motivation und Bindung an den Feldherrn dagegen unerschütterlich. Um die Beweglichkeit seiner Armeen zu erhöhen, hatte Napoleon das Requisitionssystem eingeführt. Man ernährte sich aus dem Land, was unbeweglichen Tross erübrigte.

Hinzu kam, dass die Armee von jungen Leuten geführt wurde, deren Leistung auf dem Schlachtfeld ihnen gerade erst Offiziersstellen und Marschallstäbe eingetragen hatte. In Preußen war das Offizierskorps dagegen das getreue Abbild der im Frieden ergrauten Adelshierarchie. Der Oberbefehlshaber, der Herzog von Braunschweig, war 71, sein wichtigster Heerführer Hohenlohe 60 Jahre alt. „Rücksichten ohne Ende lähmten seinen Entschluss“, höhnte Clausewitz über den Braunschweiger.
Am 2. Oktober hatte Friedrich Wilhelm endlich in Paris ein Ultimatum übergeben lassen, das den sofortigen Rückzug aller französischen Truppen über den Rhein verlangte. Napoleon antwortete mit dem sofortigen Marsch seiner „Großen Armee“ nach Norden. In drei Kolonnen erreichten 160.000 Mann am 7. Oktober Thüringen, am 10. vernichteten sie eine preußische Vorhut, zwei Tage später standen die Spitzen bereits in Naumburg, während Preußen und Sachsen, aufgesplittert in drei Heeresteile, sie zwischen Weimar und Ilmenau erwarteten.
Zwar erkannte der preußische General von Grawert, „dass der Feind unseren linken Flügel umgehe und uns von der Elbe, von allen unseren Hilfsquellen … abschneiden werde“. Doch das eigentliche Ziel Napoleons erkannte er nicht. Grawert und seine Generalskollegen dachten noch in den überkommenen Kategorien von Umgehen und Ausmanövrieren. Napoleon dagegen hatte nur ein Ziel: die Vernichtung des Gegners.

Während also im preußischen Hauptquartier umständlich der Rückzug an die Elbe vorbereitet wurde, disponierte Napoleon blitzschnell um. Obwohl er nur ein Korps und die Garde bei Jena bei sich hatte und davon ausging, die Hauptmacht des Feindes vor sich zu haben (was gar nicht der Fall war), beschloss er den Angriff für den 14. Oktober. In der Nacht zuvor gelang den Franzosen, was den Preußen unmöglich schien: Unter der persönlichen Führung des Kaisers wurden Kanonen auf die Spitze des Landgrafenberges geschafft. Zudem verstärkten weitere Truppen in der Nacht das französische Heer. Zur gleichen Zeit machte sich 20 Kilometer nördlich das Korps des Marschalls Davout in Naumburg marschbereit. Als Ziel wies ihm Napoleon Apolda zu.
Was folgte, war nicht die oft zitierte Doppelschlacht, sondern verzettelte Kämpfe an zwei verschiedenen Orten. Um Jena herum standen buchstäblich die Einheiten einer preußisch-sächsischen Armee unter dem Fürsten zu Hohenlohe mit gut 40.000 Mann, die auf die 15.000 Mann des selbstständigen Korps Rüchel warteten, das sich mit ihnen nach Nordosten durchschlagen sollte.
„‚Schlacht bei Jena‘ – das ist im Grunde nur eine zusammenfassende Bezeichnung für vier verschiedene Gefechte“, schreibt der Militärhistoriker Gerd Fesser. Doch alle vier zeigen das gleiche Bild. Wie auf dem Kasernenhof entfaltete sich zum letzten Mal die ganze Pracht der preußischen Kriegsmacht. Waren endlich umständlich Pläne gemacht und Befehle erteilt, zogen die Truppen in gezogener Linie mit klingendem Spiel ins Gefecht – und wurden allesamt von den flexibel agierenden und verbissen kämpfenden Franzosen zusammengeschossen. Die Verluste der Preußen und Sachsen betrugen 10.000 Tote und ebenso viele Gefangene, die Franzosen hatten gerade 7500 Tote und Verwundete zu beklagen.

Das Treffen bei Auerstedt zeigte das gleiche Bild. 50.000 Mann zählte die preußische Hauptarmee und hätte Davouts 27.000 schier erdrücken können. Doch wieder kämpfte man peinlich genau den Krieg aus dem Lehrbuch, versäumte es, Schwerpunkte zu bilden, verzettelte sich stattdessen. In dem Befehlschaos, das nach der tödlichen Verwundung des Herzogs von Braunschweig die preußischen Aktionen kennzeichnete, versäumte man es sogar, 18.000 Mann frische Reserve in die Schlacht zu werfen. Am Ende hatte ein einziges französisches Korps die militärische Elite Preußens ruiniert. Mehr als 10.000 Preußen und 7000 Franzosen waren gefallen oder verwundet.
Doch es waren nicht die schmerzlichen Niederlagen und großen Verluste, an denen das alte Preußen zugrunde ging. Es war die Reaktion seiner Menschen, die es aus der Geschichte tilgten. Obwohl sich große Teile der Armee in den nächsten Tagen noch nach Osten absetzen konnten, wurde eine Festung nach der anderen kampflos übergeben. Braunschweigs Nachfolger Hohenlohe kapitulierte. Der Gouverneur Berlins verhinderte die Räumung des Zeughauses, weil dies „die Franzosen übel nehmen könnten“. Und die Beamten leisteten Napoleon gar eine Art Treueid.
Nur russisches Dazwischentreten und ein letztes militärisches Aufbäumen in Ostpreußen verhinderten, dass Napoleon den preußischen Staat buchstäblich auslöschte. Zu einer drittklassigen Macht reduziert, musste Preußen sein Heil in radikaler Reform suchen, an deren Ende tatsächlich ein neues Gemeinwesen stand.

Am Ancien Régime allein kann es nicht gelegen haben. Österreich hatte bedeutend länger gegen Napoleon gekämpft und härtere Niederlagen hinnehmen müssen. Aber die Tiroler Bauern wagten den Volksaufstand gegen Franzosen und Bayern, während manche Beobachter beim Einzug Napoleons in Berlin sogar so etwas wie Jubel zu beobachten meinten.
Der ganze Krieg sei „ein unbegreifliches Missverständnis“ gewesen, versuchte Sebastian Haffner den moralischen Zusammenbruch Preußens zu erklären: „Keiner hatte Zeit gehabt zu begreifen, wieso Preußen und Frankreich, zehn Jahre lang Freunde, gerade erst Verbündete geworden, jetzt plötzlich Feinde waren.“
Wirklich? Derlei Wechsel der Allianzen hatte das Preußen Friedrichs des Großen klaglos überstanden und das Österreich der Gegenwart auch. Oder lag der Grund für das Desaster nicht vielmehr in der Idealisierung dessen, was die verstreuten preußischen Territorien erst zusammengebracht hatte: des Staates. „Es sei in seinen Formen untergegangen“, konstatierte der Zeitzeuge Clausewitz: „Ein unmäßiges, mit Eitelkeit vermischtes Vertrauen auf diese Formen ließ es ganz übersehen, dass der Geist daraus entwichen war.“ Nicht das Bewusstsein, ein Bewohner Preußens zu sein, sondern das Wohlgefallen, Bestandteil einer staatlichen „Maschine“ zu sein, band das Volk an das Gemeinwesen. Kaum waren der Staat und seine Armee geschlagen, löste sich auch die Loyalität in Luft auf.
Es war daher kein Zufall, dass sich Preußen in dem Maße erholte, wie seine Beamtenschaft die „Maschine“ wieder ans Laufen brachte. Denn letztlich gehörte das Vertrauen dem Staat.
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